Biohybride, Biokompatibilität, Biostabilisierung und Biodegradation

Diese drei Schlagworte beschreiben folgende Eigenschaften von biomedizinischen Implantaten:

Biohybride:

Durch Besiedelung von nicht-biologischen künstlichen (seltener: natürlichen) Implantatmaterialien mit lebenden, funktionsspezifischen Zellen kann die Einsatzdauer der Implantate auf mehrere Jahre hin ausgeweitet, die Funktionsfähigkeit verbessert und Hochleistungsprodukte mit neuartigem Funktionsspektrum erzeugt werden.

Biokompatibilität:

Verträglichkeit des Implantats in Hinsicht auf Toxizität, Blutverträglichkeit (Hämokompatibilität), Gewebereaktion, allergenes Potential (Irritationen, Sensibilisierung), genetische Veränderungen, ergänzt durch die Vermeidung von Fremdkörperreaktionen (beschreibt bestimmte Immunreaktionen), Krebsentstehung, und implantatassoziierte Infektionen. Diese Parameter werden sowohl lokal (an der Implantationsstelle) als auch systemisch (den gesamten Körper betrachtend) erhoben. Zunächst wird auf die Erfüllung kritischer Mindestanforderungen (z.B. keine Zytotoxizität, mechanische Stabilität, Degradation) gescreent; aufgrund der Ergebnisse erfolgen danach für ausgewählte Materialien weiterführende Prüfungen.

Biodegradation:

Ein abbaubares Implantat, welches zunächst längere Zeit im Körper stabil ist und den Neuaufbau (idealerweise im Sinn einer Regeneration) eines nicht mehr intakten Gewebes unterstützt, sich dann jedoch auflöst. Bioresorbierbarkeit bedeutet, dass ein abbaubares Material vollständig aus dem Körper eliminiert wird, ohne Nebeneffekte auszulösen. Durch physikalische, chemische oder biologische Manipulationen lassen sich das Abbauverhalten (insbesondere im zeitlichen Verlauf) und weitere Eigenschaften einstellen und so an ausgewählte anatomische Orte innerhalb des Körpers anpassen.

Warum ist es wichtig, Implantate mit diesen Eigenschaften zu entwickeln?

Während die meisten Implantate lebenslang funktionstüchtig im Organismus verbleiben müssen, ist es zum Beispiel bei Osteosyntheseschrauben (Orthopädie) oder bei Stents (kardiovaskulärer Bereich) häufig erwünscht, dass sie sich nach Erfüllung ihrer Funktion möglichst biologisch verträglich abbauen. Im Falle der Osteosyntheseschrauben wird dadurch z. B. eine erneute Operation und damit eine zusätzliche Belastung des Patienten vermieden. Hierfür wurden erfolgreich präklinische Untersuchungen mit biodegradierbaren Metallen auf Magnesiumbasis durchgeführt. Dieses Konzept revolutioniert die bisherigen Dogmen, möglichst korrosions-resistente Implantate zu entwickeln, und gilt als eine Herausforderung und Zukunftschance für neue Implantate in der Chirurgie. Erste Implantate für die Fußchirurgie konnten bereits erfolgreich klinisch angewendet werden. Zukunftsweisend in der Implantologie sind außerdem die biohybriden Systeme in ihren verschiedensten klinischen Anwendungen vom biodegradierbaren Metallstent oder der abbaubaren Knochenschraube bis hin zur endothelialisierten, bioartifiziellen Lunge: Durch die Biohybridisierung von langzeitstabilen Implantatmaterialien mit funktionsspezifischen Zellen kann die Einsatzdauer der Implantate auf mehrere Jahre hin ausgeweitet und die Einsatzmöglichkeit als dauerhaftes biokompatibles Implantat verbessert werden.

Die Herausforderung, die Verträglichkeit (Biokompatibilität) und die Interaktion eines Implantates mit dem umliegenden Gewebe zu kontrollieren, wird besonders groß, wenn temporär-stabile (biodegradierbare, resorbierbare) Implantatmaterialien (z. B. Polymere, biodegradierbare Metalle) als Vollmaterial oder Beschichtung eingesetzt werden, da deren Abbauprodukte mit dem Abbauvorgang und/oder dem umliegenden Gewebe interagieren können. Ziel ist es daher, diese Material-Gewebe-Interaktion bei langzeit-stabilen (dauerhaften) und temporären Implantaten zu kontrollieren und je nach klinischer Notwendigkeit ihr Einwachsverhalten durch gerichtete Interaktion mit bestimmten Zelltypen zu verbessern oder in anderen klinischen Applikationen ein unkontrolliertes Gewebewachstum um das Implantat zu verhindern.

Klinisch müssen Implantate neben ihrer biokompatiblen und mechanischen Eignung viele spezifische Funktionen, die sich aus ihren physikalischen, chemischen und biologischen Parametern ergeben, zuverlässig erfüllen. Hierbei sind Fremdkörperreaktionen und implantatassoziierte Infektionen ein Hauptgrund für ein frühes Versagen. Jedoch können selbst Werkstoffe mit idealen mechanischen Eigenschaften und speziellen Beschichtungen durch Grenzflächenreaktionen zwischen Implantat und Gewebe Fremdkörperreaktionen verursachen, die zu einer Beeinträchtigung der Gewebeintegrität und Implantatfunktionalität führen. Daher müssen diese Materialien hinsichtlich Toxizität, Gewebereaktion, allergenem Potential und genetischen Veränderungen untersucht werden, bevor sie in den klinischen Einsatz kommen. Über den Bereich der Implantatforschung hinaus stellen sich analoge Fragen der Biokompatibilität auch im Rahmen der Regenerativen Medizin (Entwicklung von Organersatzverfahren) und im Einsatz von besiedelten Materialien beim Tissue Engineering (Gewebeersatzverfahren) oder bei sogenannten biohybriden Systemen von Zellen in oder auf einer synthetischen Matrix. Für alle Ansätze, die sich mit dem Ersatz von verlorenen Körperfunktionen befassen, wird daher eine ausführliche Beurteilung ihrer Biokompatibilität benötigt. Hierbei ist insbesondere die biodegradierbare Materialkomponente der zell- oder wachstumsfaktortragenden Beschichtungen unter dem Aspekt der Biokompatibilität zu prüfen, da die Abbauprodukte direkt oder indirekt auf die aufgebrachten Zellen oder das Nachbargewebe wirken können. Ziel ist der kontrollierbare und kontrollierte Abbau des Implantatmaterials und die Vermeidung von Fremdkörperreaktionen in den umliegenden Geweben.

Was bearbeiten wir im NIFE?

Die Schwerpunkte unserer Arbeiten liegen in der Aufklärung der Gewebe-Implantat-Interaktion von biodegradierbaren Metallen, Polymeren, Hydrogelen u.v.a.m. Es werden Untersuchungen zur Zyto-und Biokompatibilität von offenporigen Materialien oder Oberflächen, von (bio-)funktionalisierten Implantaten mit Wachstumsfaktoren und Biohybriden aus Material-Zellkonstrukten unter anderem mit Einsatz von körpereigenen Stammzellen in den verschiedenen klinischen Anwendungsgebieten durchgeführt. Für die Beurteilung der Biokompatibilität ist aufgrund der komplexen Vorgänge die Untersuchung in Tiermodellen unumgänglich. Um die Anzahl auf das geringstmögliche Maß zu beschränken, ist es das Ziel, diese Fremdkörperantwort in einem Tier nicht-destruktiv über den gesamten Implantationszeitraum zu verfolgen. Dies erlaubt neben der Verminderung der Zahl an benötigten Tieren zudem die Erkennung von zeitlichen Verläufen der Untersuchungen. Hierfür stellt Fluoreszenz-basiertes in vivo-Imaging ein universelles Analysesystem dar. Am Beispiel eines implantierbaren Lungenersatzsystems („ECMO“) soll untersucht werden, durch welche Faktoren die Blutverträglichkeit (Hämokompatibilität) durch Endothelzellen, die auf eine künstliche Matrix aufgebracht werden, verbessert werden kann. Derzeit verwendete Materialien führen zur Verklumpung von Blutzellen und zur Thrombusbildung, zudem binden Blutproteine an die für den Gasaustausch benötigten Strukturen und verringern so deren Effizienz. Hier stehen materialtechnische Fragen, Strukturierung und Funktionalisierung von Oberflächen sowie zellbiologische Fragen im Vordergrund der Arbeiten. Ziel ist es, die Einsatzdauer eines solchen biohybriden Systems von derzeit wenigen Wochen auf mehrere Monate bis Jahre zu verlängern.

Alle genannten Fragestellungen erfordern die intensive Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Medizinern. Im NIFE gibt es eine Reihe von Verbundprojekten und Kooperationen. Für genauere Informationen hierzu schauen Sie sich bei Interesse bitte folgende Internetauftritte an:

https://nife-hannover.de/forschung/forschungsverbuende

https://gradierte-implantate.de/de/

https://lbb2-mhh.de/wp_lbb/de/startseite/

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