Der Journalist Oliver Züchner im Interview mit Prof. Henning Windhagen

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Jede Hüfte zählt

Das zentrale Implantatregister soll die Sicherheit für Patienten erhöhen.

Es war ein Skandal: 2010 wurde der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass der französische Herstellers Poly Implant über Jahre hinweg minderwertige Brustimplantate produziert hatte. In der Folge mussten sich Hunderte Frauen die silikonhaltigen, oft schadhaften Präparate wieder explantieren lassen.

Poly Implant zeigte Lücken im Kontrollsystem von Medizinprodukten auf, die erst allmählich geschlossen werden. Noch Ende 2018 entdeckte ein Journalisten-Netzwerk die „Implant Files“: Lücken in der Zulassung von Implantaten, ohne die moderne Hochleistungsmedizin nicht denkbar ist. Herschrittmacher, Gefäßprothesen, Stents, Cochlea- und Retinaimplante: Es gibt kaum einen Bereich, in dem nicht Medizinprodukte die Körperfunktionen unterstützen oder ersetzen können.

„Der Gesetzgeber hat auf die Missstände inzwischen reagiert“, sagt Prof. Henning Windhagen, Direktor der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im DIAKOVERE Annastift. Er verweist auf das auf EU-Ebene deutlich verschärfte Zulassungsverfahren für Medizinprodukte. Ein weiterer Fortschritt sind die aktuell 16, von medizinischen Fachgesellschaften geführten freiwilligen Implantatregister für Herzschrittmacher und andere Implantate mehr. „Produkte können Jahrzehnte im Körper des Patienten verbleiben. Ohne Register sind Langzeitfolgen kaum zu erkennen“, so Windhagen.

Leuchtendes Beispiel ist das 2012 eingerichtete Endoprothesenregister Deutschland (EPRD). Nach Angaben Windhagens melden inzwischen knapp 716 von 1.200 deutschen Kliniken, die jährlich rund 450.000 Endoprothesen, also künstliche Hüft- und Kniegelenke einsetzen, die Daten der Patienten – so diese zustimmen. „Das sind immerhin 66,7 % der eingesetzten Implantaten, die auf diese Weise erfasst werden“, so Windhagen.

Wie wichtig die Datensammlung ist, zeigen die jährlich mehr als 45.000 endoprothetischen Operationen, in denen nach Angaben des EPRD alte gegen neue Implantate getauscht werden, ohne dass dafür die wirklichen Gründe bekannt wären. Ein weiteres Beispiel sind Tausende, bis etwa 2010 verwendete Hüftprothesen, bei denen Kugel und Gelenk gleichermaßen aus extrem harten Kobaltchrom gefertigt wurden. „Mit dem Register hätten die Ärzte die Problematik dieser Konstruktion deutlich früher erkennen können“, ist sich Windhagen sicher.

Sein Rat an die Patienten: Operationen nur in Kliniken vornehmen lassen, die ans EPRD melden und überdies zum Netzwerk deutsche Endoprothetikzentren (EPZ) zählen. Denn die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestmengen reichen aus Sicht von Experten wie Windhagen nicht aus, abgesehen davon, dass sie von Krankenhäusern gerne auch einmal missachtet werden, wie das „Ärzteblatt“ im Juni 2019 berichtete.

„Ein einzelner Operateur sollte, so wie in den EPZ vorgegeben, auf mindestens 50 Eingriffe im Jahr kommen, bei komplizierten Eingriffen, zum Beispiel durch angeborene Fehlstellungen, auf mindestens 100 Operationen“, so Windhagen. Ein weiterer Vorteil der EPZ sei das Co-Pilotenkonzept. „Ein Facharzt muss zwei Jahre einem erfahrenen Operateur assistieren, bevor er selbst einen Eingriff leiten kann“, erklärt Windhagen.

Um die verbleibenden Lücken bei der Erfassung von Implantaten zu schließen, soll 2020 der Aufbau eines zentralen Registers mit Sitz in Köln starten. Es wird die bisherigen freiwilligen Register zusammenführen, weitere Implantatgruppen erfassen und eine Meldepflicht einführen: Kliniken müssen dann jeden „Einbau“ eines Implantats melden und Patienten der Datenübermittlung zustimmen. „Das ist letztlich im Sinne der Patienten“, wirbt Windhagen.

HAZ/NP Sicherheitswochen 07.11.2019

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