Herztransplantation in Kriegszeiten

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Internationale Zusammenarbeit in der Spitzenmedizin: Renommierter Chirurg Prof. Dr. Borys Todurov berichtet, wie Transplantationsprogramme in der Ukraine unter schwierigsten Bedingungen fortgeführt werden. In der MHH bildet er sich mit seinem Team fort.

Organtransplantationen können seit vielen Jahren Menschenleben retten und ihre Lebensqualität verbessern. Auch in der Ukraine gehören sie seit mehr als 20 Jahren zur medizinischen Versorgung. Im Jahr 2019 konnte der renommierte Chirurg Prof. Dr. Borys Todurov, Direktor des Kiew Heart Institute, die erste Herztransplantation in der Ukraine bei einem Kind vornehmen. Diese Entwicklung ist seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 stark gefährdet.

Noch bis zum 17. November 2024 ist Professor Todurov mit vier ukrainischen Fachärztinnen und -ärzten zu Gast im Transplantationszentrum der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), um sich zu chirurgischen Techniken und dem Einsatz moderner Geräte fortzubilden. An der MHH, einem der größten Transplantationszentren in Europa, gibt es umfangreiche Expertise zur Organkonservierung und der Transplantation von Herz, Lungen, Leber, Niere und Pankreas. Ein Teil der Organperfusionen werden auch im NIFE durchgeführt.

Exzellente medizinische Forschung trifft humanitäres Engagement: Prof. Dr. Moritz Schmelzle, Prof. Dr. Arjang Ruhparwar, Prof. Dr. Borys Todurov, Dr. Andreas Philippi, MHH-Vizepräsident Prof. Dr. Frank Lammert und Prof. Dr. Christine Falk. Copyright: Karin Kaiser/MHH
Minister: „MHH setzt ein starkes Zeichen“

„Die Initiative der MHH zeigt, was möglich ist, wenn exzellente medizinische Forschung und humanitäres Engagement zusammenkommen“, sagt Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung. „In einer Zeit, in der internationale Solidarität wichtiger denn je ist, setzt Hannover ein starkes Zeichen – für Wissenstransfer, für Zusammenarbeit und für den Zusammenhalt in Europa.“

OP-Team reist in umgebautem Bus

Die Transplantationsprogramme in der Ukraine werden unter schwierigsten Bedingungen fortgeführt. Besonders betroffen ist die Herztransplantation, weil das Zeitfenster zwischen Organentnahme und Transplantation nur vier bis fünf Stunden betragen darf. „Kriegsbedingt können wir die Organe nicht mehr im Hubschrauber transportieren. Auf dem Landweg ist die Transportzeit für die Organe zu lang“, berichtet Professor Todurov. „Wir haben daher einige Sitze aus dem hinteren Teil eines Busses ausgebaut, um unsere schwerkranken Patientinnen und Patienten, unser Team und unsere Ausrüstung zum Spenderkrankenhaus zu bringen. Für die Intensivpflege bringen wir die Patientinnen und Patienten wieder zurück nach Kyjiw. Wir machen unsere Arbeit, auch wenn es gefährlich ist.“

„Für jede Operation reisen ein Fahrer, der Chirurg und zwei Assistenzärzte, zwei Anästhesisten, ein Perfusionist und eine Pflegekraft durch das vom Krieg verwüstete Land“, berichtet Professor Todurov weiter. „Da die Kliniken und Krankenhäuser im ganzen Land nicht über die spezielle Ausrüstung für eine Herztransplantation verfügen, bringt das Team Ausrüstung und Material mit. Der Bus bietet Platz für vier Boxen pro Dienst sowie für eine Bypass-Maschine, eine Herz-Lungen-Maschine, Wärme- und Kühlgeräte, Perfusionssysteme, Monitore und chirurgische Geräte.“

Todurov und sein Team bereits 2020 zu Gast in der MHH

„Die Herztransplantation in Kriegszeiten ist eine enorme Leistung“, lobt der Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie Prof. Dr. Arjang Ruhparwar. „Professor Todurov und sein Team haben bereits 2020 unsere Klinik besucht und Erkenntnisse vor allem im chirurgischen Bereich der Herz- und Lungentransplantation, Intensivversorgung und Nachsorge erhalten. Inzwischen hat sich ein enger Kontakt mit der MHH sowohl auf klinischer als auch auf Forschungsseite ergeben, speziell mit dem Institut für Transplantationsimmunologie.“

Gemeinsames Forschungsprojekt zu Transport von Spenderherzen

Im Sommer drohte der Transportwagen kaputt zu gehen. Prof. Dr. Christine Falk, Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie, organisierte eine Spendenaktion für einen neuen Wagen und fuhr den Bus persönlich mit einem humanitären Hilfstransport nach Kyjiw zum Heart Institute. „Aus unserem persönlichen Kontakt ist ein gemeinsames Forschungsprojekt entstanden, um die Transportzeiten der Spenderherzen zu verlängern und so den Transport der Patientinnen und Patienten zu vermeiden. Todurovs Team testet derzeit spezielle Kühlboxen für Blutprodukte für den Transport der Spenderherzen, die eine konstante und kontrollierte Kühlung ermöglichen. Die immunologischen Auswirkungen dieser Methode auf den Schaden im Herzgewebe durch den Transport erforscht mein Team.“

Organkonservierung auch Thema beim Hannover Transplant Summit

„Organkonservierung und -perfusion ist in der Transplantationsmedizin ein hoch aktuelles Thema“, erklärt Prof. Dr. Moritz Schmelzle, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie und Leiter des Transplantationszentrums. „Das gemeinsame Forschungsprojekt ist Teil der Exzellenzinitiative R-CUBE, in der es um Regeneration, Reparatur und Ersatz von Organen geht. Die Organkonservierung ist außerdem das zentrale Thema unseres Hannover Transplant Summit, das am 21. und 22. November 2024 im Medical Park stattfindet.“

Breite Unterstützung

Unterstützt wird der Besuch des Teams um Professor Todurov durch das MHH-Transplantationszentrum und die Volkswagen Stiftung.

Die Hilfslieferungen wurden unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus Kliniken in Hannover, darunter Dr. Martin Schott, Dr. Dirk Hahne, Dr. André Gottschalk, DIAKOVERE Friederikenstift, sowie durch Mariya Maksymtsiv und Pfarrer Roman Maksymtsiv aus der Gemeinde St. Wolodymyr in Hannover.

Internationales Treffen zu Transplantation

Das „Hannover Organ Transplant Summit 2024 – Current Trends in Translational Research“ findet am 21. und 22. November 2024 statt. Bei dem Symposium präsentieren Expertinnen und Experten der MHH sowie aus dem In- und Ausland aktuelle Forschungsergebnisse, unter anderem zu den Themen Transplant Oncology, Graft Remodeling und Xenotransplantation. Tagungsort ist die Rotunde im Medical Park Hannover.

Weitere Informationen: https://www.hannover-transplant-summit.org

Text: Inka Burow

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