Hoffnung für Schwerverletzte nach Amputation von Gliedmaßen

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MHH-Forschungsteam will Replantation von Armen und Beinen voranbringen

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Amputierte, schwer beschädigte Extremitäten – etwa durch Unfälle im Straßenverkehr, bei der Arbeit oder auch zu Hause – stellen die Chirurgie bei der Versorgung dieser oftmals lebensbedrohlich verletzen Patientinnen und Patienten vor große Herausforderungen. Nur wenige Spezialkliniken sind in der Lage, eine autologe Replantation vorzunehmen, also diese abgetrennten Gliedmaßen so anzunähen, dass sie danach wenigstens eingeschränkt funktionstüchtig sind. Und das gelingt auch nur, wenn die Replantation schnell genug geschieht, da die Extremitäten ohne Blutversorgung nur wenige Stunden überstehen können.

Wie diese sogenannte Ischämiezeit verringert und die abgetrennten Gliedmaßen bis zur Operation besser versorgt werden können, untersuchen Dr. Bettina Wiegmann aus der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie (HTTG) und Professorin Dr. Kirsten Haastert-Talini, Leiterin der Arbeitsgruppe „Periphere Nervenregeneration“ am MHH-Institut für Neuroanatomie und Zellbiologie. Das Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium der Verteidigung für zunächst zwei Jahre mit 520.000 Euro gefördert.

Schaden durch Sauerstoffmangel

„Schwere Extremitätenverletzungen und traumatische Amputationen, sowie zunehmende Tumor- und Gefäßerkrankungen führen in Deutschland jährlich zu etwa 56.000 Amputationen“ sagt Dr. Wiegmann, Leiterin der Arbeitsgruppe „Ex-vivo Organperfusionen“ am Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE), wo das Projekt angesiedelt ist. Meist werden die fehlenden Gliedmaßen durch Prothesen ersetzt. Das liegt im Fall der traumatisch amputierten Gliedmaßen zum einen an der mangelnden Expertise vieler Kliniken für den komplizierten chirurgischen Eingriff der Replantation, bei dem Knochenbrüche versorgt, Blutgefäße wieder angenäht und Nerven verbunden werden müssen. Zum anderen spielt Zeit eine entscheidende Rolle, denn die Schwerverletzten müssen vorrangig stabilisiert werden, damit sie überhaupt überleben. Solange lagert die Extremität auf Eis. „Bis der Patient dann wieder stabil genug für eine weitere Operation ist, können Tage vergehen“, sagt die Medizinerin. „Das überstehen die Extremitäten aber nicht, denn sie erleiden nach einer gewissen Zeit ohne Durchblutung einen Ischämieschaden, bei dem die Zellen durch den Sauerstoffmangel absterben.“

Regenernationsfähigkeit der Zellen erhalten

Das Problem der zeitlich begrenzten Haltbarkeit ohne Blutversorgung kennt die Chirurgin aus der Organtransplantation. Sie war an der MHH-geführten INSPIRE-Studie eingebunden. Dabei wurde nachgewiesen, dass eine andauernde maschinelle Durchspülung mit einer blutähnlichen Perfusionslösung bei Körpertemperatur dazu führt, dass Spenderlungen länger konserviert und weniger geschädigt werden. „Die Lunge wird in einem transportablen Organ‑Care‑System beatmet und an einen künstlichen Blutkreislauf angeschlossen“, erklärt Dr. Wiegmann. Ein ähnliches System will das Forschungsteam nun für die Konservierung der Extremitäten entwickeln. „Wir müssen aber zunächst herausfinden, unter welchen Bedingungen die Körperzellen ihre Regenerationsfähigkeit beibehalten, damit die Extremität nach einer Replantation auch tatsächlich wieder anwächst“, betont Professorin Haastert-Talini. Die besondere Herausforderung ist, dass dabei die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Zellarten wie Fettgewebe, Muskeln, Haut, Bindegewebe und Nervenzellen berücksichtigt werden müssen.

Nervenbrücken konstruieren

In einem ersten Schritt suchen die Wissenschaftlerinnen nun nach der idealen Perfusionslösung, die den Ansprüchen aller Zellen an Nährstoffzusammensetzung, Temperatur sowie Fließdruck und Fließgeschwindigkeit gerecht wird. Doch es genügt nicht, die Extremitäten optimal vorzubereiten und die Blutzirkulation in den Gefäßen und der Muskulatur wiederherzustellen. Auch die getrennten Nerven müssen wieder hergestellt werden, damit Patienten nach einer Replantation den Arm oder das Bein wieder spüren und kontrolliert bewegen können. „Wir wollen optimale Ausgangsbedingungen dafür schaffen, dass die regenerierenden Nervenfasern nicht ungesteuert wachsen und darüber hinaus Nervenbrücken für einen optimierten Anschluss entwickeln“, sagt Professorin Haastert-Talini. Noch sind viele ungelöste Fragen zu klären. Das Ziel haben die Forscherinnen jedoch schon klar vor Augen: Ein Extremitäten‑Care‑System, das zum einen als praktische Kiste in jeden Notarztwagen passt und schwerverletzten Menschen die Chance auf ein Leben ohne Amputation und Prothesen gibt. Zum anderen soll es analog zu der soliden Organtransplantation im Rahmen der allogenen Extremitätentransplantation genutzt werden können.

Autorin: Kirsten Pötzke

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